Madge Gill Bukasa, Suzanne Ebeid und Anton Higatsberger
Über Vorteile und Ethik im Enthüllungsjournalismus
Vor 5 Jahren, am 3. April 2016, veröffentlichten über 100 Medienhäuser die vertraulichen Unterlagen des panamaischen Offshore-Dienstleisters Mossack Fonseca, auch „Panama Papers“ genannt, und offenbarten damit ein Netzwerk von Korruption, Geldwäsche, Steuerhinterziehung, das sich über die ganze Welt erstreckte. Dem journalistischen Weltereignis gedachten heuer viele Medien rund um den Globus! Grund genug für uns, ein bislang unveröffentlichtes Interview mit einem der zentralen Aufdecker der Panama-Papers, Frederik Obermaier, abzudrucken.
TGP: Dein Kollege Bastian Obermayer und Du, Ihr seid zentrale Journalisten der bisher größten „Daten-Leaks“, die je journalistisch aufgearbeitet wurden. Für das internationale Rechercheprojekt „Panama-Papers“ seid ihr im Jahr 2017 mit dem Pulitzer¬-Preis ausgezeichnet worden. Was bedeutet Euch dieser Preis?
Obermaier: Es war selbstverständlich eine große Ehre – vor allem, da damit ja die Zusammenarbeit von rund 400 Journalisten und Journalistinnen gewürdigt wurde. Es war ein wichtiges Signal in der Branche, dass man auch mit vermeintlichen Konkurrenten zusammenarbeiten und damit sogar einen Preis gewinnen kann. Aber eines ist klar: Wir machen unseren Job nicht wegen irgendwelcher Preise. Wer darin seinen Antrieb sucht, ist in diesem Job falsch.
TGP: An den Panama-Papers haben letztendlich 400 JournalistInnen in 80 Ländern über rund ein Jahr mitgearbeitet, orchestriert war das Ganze vom Internationalen Konsortium für Investigativjournalisten (ICIJ). Als Investigativjournalisten ward ihr sicher einiges gewohnt und wusstet bereits, dass nicht immer alles so ist, wie es scheint.
Wie war es aber, als Euch die tatsächlichen Ausmaße der PP-Leaks klar wurden? Welche Gefühle und Gedanken hattet Ihr in Bezug auf Gesellschaft, Demokratie und Weltgerechtigkeit?
Obermaier: Das war ein Prozess. Man muss fast sagen: Wir sind da reingeschlittert. Am Anfang hatte uns der Panama-Papers-Whistleblower ja nur einige Gigabyte an Daten überlassen. Am Ende waren es mehr als zwei Terabyte. Und mit jeder neuen Datenlieferung stieg auch die Zahl der Hinweise und Spuren, denen wir nachgingen. Für mich waren die Panama-Papers auch ein langer Lernprozess: Ich arbeitete damals ja noch nicht lang als Investigativjournalist und musste vieles lernen, zum Beispiel über IT-Sicherheit. Jetzt weiss ich, dass Glitzernagellack phantastisch ist, nicht nur weil er toll aussieht, sondern weil man sieht, wenn jemand am Computer herumhantiert hat, wenn man ihn vorher auf die jeweiligen Schrauben gestrichen hatte.
TGP: In Eurem Buch „Panama-Papers – Die Geschichte einer weltweiten Enthüllung“ habt Ihr ein ganzes Kapitel Island gewidmet. Ich finde Island exemplarisch und interessant, auch im Hinblick auf das, was gerade wieder in Österreich passiert. Wie war denn das Ausmass des Schadens zu umreißen, den der Ministerpräsident, der Innen- und der Finanzminister in Island angerichtet haben?
Obermaier: Ich glaube, der Schaden in Zahlen war das eine. Gleichzeitig haben aber viele Isländer und Isländerinnen sich schlicht verarscht gefühlt. Island war eines jener Länder, welches die Finanzkrise stark zu spüren bekommen hatte, wo Familien und ganze Existenzen daran zerbrochen sind. Zu lernen, dass ein Drittel des Kabinetts noch immer mit Briefkastenfirmen hantierte und teils mit den Banken verbunden war, die Teilschuld an dem Crash hatten, war sicherlich für viele Isländer und Isländerinnen ein Schock. Deswegen waren die Folgen auch so heftig: Die größte Demonstration der Geschichte des Landes – und am Ende der Rücktritt des Premierministers.
TGP: Das andere Länderbeispiel über das ich gerne sprechen will, ist DRC. Ihr schreibt, Joseph Kabila, der von 2001 bis 2019 Präsident des zweitgrößten afrikanischen Staates war, gab 2010 die Erlaubnis zum Öl-Fördern an zwei Firmen, die in der Branche unbekannt waren. Es sei üblich, schreibt ihr, dass ein Staat 70-80 Prozent der Einnahmen aus der Ölförderung bekommt. Im benachbarten Uganda darf eine Firma nur zwischen 20 und 31,5 Prozent ihrer Einnahmen behalten, der Rest geht an den Staat. Die beiden Briefkastenfirmen, die die Öl-Förderrechte erhielten, durften zwischen 55 bis 60 Prozent einbehalten. Ein seltsamer Deal zu Lasten des Landes. Die beiden Firmen bezahlten für die lukrativen Konzessionen nur sechs Millionen Dollar.
Welchen Schaden diese modernen »Raubritter« global anrichten, ist doch evident! Wieso verhallt diese Information so rasch, und wieso werden die Aufdecker, wie Ihr, als Lügner einer Lügenpresse bezeichnet? Wenn es aber um Flüchtlinge und Armutsmigration geht, hört man nichts von solchen Machenschaffen?
Obermaier: Sicherlich hat die ganze Journalismus-Branche Fehler in der Vergangenheit gemacht. Fehler sind nicht schnell genug korrigiert und transparent gemacht worden. Außerdem wurden Arbeitsweisen, journalistische Standards und Methoden nicht genug erklärt. Das rechtfertigt aber noch lange nicht, Journalisten als Lügner oder – wie es Donald Trump macht – Feinde des Volkes hinzustellen. Mit seinen Worten bereitet er den Boden für Gewalttaten. Und die Angriffe gegen Journalisten häufen sich ja leider schon. Wir alle machen Fehler, aber „Enemy of the People“, das geht nicht. Damit sägt man an einem wichtigen Pfeiler unserer Demokratie.
TGP: Die unmittelbaren Folgen der Leaks waren vor allem die Reihe von Verhaftungen und strafrechtlichen Folgen für einzelne Personen.
In einem Beitrag der SZ von damals stand, dass die Politik oft nur mit großen Worten reagiere. Der damalige US-Präsident Obama forderte beispielsweise bloß eine internationale Steuerreform nach Öffentlichwerdung der Panama-Papers.
Es kam demnach nicht unmittelbaren zu dem notwendigen Verrechtlichungsschub. Wie beurteilst Du heute den Einfluss auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dieser Leaks?
Obermaier: In einigen Ländern sind auf die großen Worte auch Taten gefolgt. So wurden Gesetze verschärft, von „Panama-Papers-Gesetzen“ war die Rede. In etlichen Ländern gibt es nun ein Register der wirtschaftlich Berechtigten, also derjenigen Personen, denen eine Firma schlussendlich gehört. Das ist ein erster, wichtiger Schritt. Wenn ich mit einer Firma Geschäfte mache, dann will ich wissen, mit wem ich da Geschäfte mache. Ich will wissen, das ist nicht die Hans-Wurst GmbH, sondern ich will wissen, welcher Person sie gehört, ob das ein Oligarch, ein Krimineller oder ein unbescholtener Bürger ist. Parallel zu so manch wichtigem Wandel hört man die Lobbyisten aber schon wieder zum Gegenangriff blasen. Als es in Deutschland darum ging, ein solches Register einzuführen, behauptete die Lobby der Familienunternehmer, dass ein solches Register die Gefahr von Entführungen erhöhen würde. Es gibt aber keine wissenschaftlichen Studien, die dies belegen würden, und ich halte es auch für kompletten Nonsens. Solange Unternehmer und Unternehmerinnen mit großen Autos durch die Gegend fahren und in herrschaftlichen Wohnungen oder Villen wohnen, brauche ich kein Register, um herauszufinden, wer reich ist.
TGP: Als Jean Ziegler zuletzt im März 2019 von der Stadt Wien eingeladen wurde, wurden die Gastgeber von der damaligen österreichischen Bundesregierung heftig kritisiert, weil Ziegler bei seinem Vortrag meinte, dass es "Ohne Gewalt sicher nicht gehe", die „Weltdiktatur der Oligarchien und des globalisierten Finanzkapitals" loszuwerden.
Ihr habt Jean Ziegler getroffen? Wie ist Deine Meinung zu dem Globalisierungsgegner Ziegler?
Obermaier: So laut Herr Ziegler manchmal auch ist und so sehr er in den Augen mancher Kritiker auch gelegentlich über das Ziel hinausschießt, so wichtig ist seine Botschaft. Er ist jemand, der über Jahrzehnte hinweg gemahnt hat. Er hat sich mit der Kritik in seinem Heimatland, der Schweiz, nicht viele Freunde gemacht. Aber es war wichtige Kritik. Denn die Schweiz ist mit Schuld, dass Länder und Kontinente geplündert werden. Noch immer lagert das Geld korrupter Eliten in der Schweiz – weit weg von jenen, denen es eigentlich zusteht, und die es zum Überleben brauchten.
TGP: Karl Kraus schrieb seinerzeit über die „Metaphysik der Haifische“. Beim Lesen über die Panama-Papers bzw. eurer Publikation habe ich mich gefragt, welche Ideologie diese Verbrechen motivierte. Jürgen Mossack, der Fadenzieher all dieser schmutzigen Geschäfte, ist ja das Kind eines SS-lers.
In den Papers tauchen aber auch Persönlichkeiten wie der Sohn von Kofi Annan, Kojo Annan, auf und es gab Hinweise, dass der Vater, offenbar von den Machenschaften oder Verwicklungen seines Sohnes eine Ahnung gehabt haben musste.
Der globale Süden ist in den Panama-Papers unterm Strich ganz gut vertreten. Um das Ausmaß der Katastrophe zu begreifen, kannst Du sagen, in welchem Verhältnis - statistisch oder in Zahlen - der Süden beteiligt war?
Obermaier: Da liegen mir keine belastbaren Zahlen vor. Was ganz klar ist: Man sieht in den Panama-Papers, dass es Länder vor allem auch in Afrika gibt, wo korrupte Eliten mithilfe von intransparenten Firmenstrukturen ihr Geld ausser Landes schaffen, während die Bevölkerung zum Teil hungert.
TGP: Das Ausmass ist für den Süden um einiges gravierender als für den Norden.
Obermaier: Das ist ja auch der Punkt. Wenn wir über Steueroasen und über Briefkastenfirmen reden, dann müssen wir uns die Zusammenhänge klar machen. Die ganze Materie klingt sehr, sehr technisch und trocken, aber da geht es im Grunde auch um das Finanzieren von Kriegen. Wir haben in den Panama-Papers beispielsweise einige Firmen gefunden, die der Familie von Bashar Assad zuzuschreiben sind, und wo Experten sagen, dass mit ihnen auch der Krieg mitfinanziert wird.
TGP: Diese Figur, Jürgen Mossack, die habt Ihr dann auch getroffen?
Obermaier: Wir standen vor seiner Tür, haben ihn aber nicht angetroffen.
TGP: Warum muss man das überhaupt machen?
Obermaier: Ich bin nicht wegen ihm nach Panama gereist. Die Möglichkeit zu unseren Vorwürfen Stellung zu nehmen, konnten wir schließlich auch per Mail gewähren. Aber mir war es wichtig, vor Ort zu recherchieren. Ich wollte verstehen, wie wichtig die Offshore-Industrie für Panama ist, was das für Leute sind, die da arbeiten, und was die Kritiker sagen. Wir haben in den Panama-Papers zum Beispiel eine Frau gefunden, die auf dem Papier mehr als 10 000 Firmen als Direktorin vorstand, Firmen, die zum Teil in den Siemens Korruptionsskandal oder in den FIFA Korruptionsskandal verwickelt sind. Wir haben uns dann auf die Suche begeben und sind in einem ärmlichen Dorf fündig geworden. Es war ganz klar: Diese Frau war auch nur ein Opfer. Sie wurde von den Eigentümern von Mossack Fonseca als Strohfrau benutzt. Für sie war es ein überlebenswichtiges Einkommen. Ich glaube aber nicht, dass ihr die ganze Tragweite bewusst war.
TGP: Sie verdiente nicht genug, um einen luxuriösen Lebenstil zu führen?
Obermaier: Es war schon eines der schöneren Häuschen in diesem Dorf, aber ich sage bewusst „Häuschen“: Ein bungalowartiges Gebäude mit nicht mehr als zwei oder drei Räumen.
TGP: Jürgen Mossack hat ja stets beteuert, dass er nichts Illegales getan hat. Wie ist das zu interpretieren?
Obermaier: Das müssen am Ende die Gerichte entscheiden. Mittlerweile wird er ja per internationalem Haftbefehl gesucht. Für mich ist es zumindest moralisch sehr, sehr verwerflich, wenn man Geschäfte mit sanktionierten Personen macht, wenn man Geschäfte mit Kriminellen macht, wenn man Geschäfte mit Drogenkartellen macht.
TGP: Unbestritten ist, die Politik braucht den Journalismus. Der Terminus „die vierte Gewalt“ weist ja auch auf die Kontrollfunktion des Journalismus bezogen auf die Grundrechte hin.
Was wäre Euer Appell an die Politik?
Obermaier: Mein Wunsch wäre, sich der Rolle und Verantwortung der Presse wieder bewusster zu werden. Ohne eine freie und unabhängige Presse gibt es keine Demokratie. Um auch auf Ibiza zurückzukommen: Strache sagte damals, dass er ein Mediensystem wie bei Orbán wolle. Orbán aber ist ein Feind der freien Presse. Und sein Land ist auf dem besten Weg in eine Autokratie abzudriften.
TGP: Er ist demokratisch gewählt ...
Obermaier: Ja, aber der Rechtstaat wird dort ausgehöhlt, die Presse wird gleichgeschaltet, kritische Berichterstattung wird unterbunden ...
TGP: Aber der Souverän, das Volk, scheint sich irgendwie nicht daran zu stoßen.
Obermaier: Da habe ich einen anderen Eindruck.
TGP: Sollte die „Vierte Gewalt“ schärfere Kontouren annehmen?
Obermaier: Ich glaube, wir alle müssen verantwortungsvoller recherchieren und schreiben. Auch ein Boulevardjournalist hat eine sehr hohe Verantwortung: Nicht hetzerisch zu schreiben, nicht bewusst Unwahrheiten zu verbreiten und nicht Spekulationen ungeprüft weiterzuverbreiten. Der Boulevardjournalismus prägt das Bild des Journalisten in der Öffentlichkeit. Man glaubt oft, dass zum Boulevardjournalismus ein gewisser Ton, so eine gewisse Rotzigkeit, dazugehört, dass man gewisse Dinge einfach ungeprüft in den Raum stellt. Das sehe ich anders: Ich glaube, dass Boulevardjournalismus auch seriös sein kann. Wir müssen wieder mehr über unsere Standards reden, im Boulevardjournalismus, aber auch in Qualitätsmedien.
TGP: Grosse Redaktionen haben den riesen Vorteil, dass es da die Möglichkeit der gegenseitigen Kontrolle gibt, was kleinere Redaktionen nicht haben.
Obermaier: Ja, das ist mir bewusst, ich rede schon aus einer Luxusposition heraus, wo wir noch die Zeit für solche Diskussionen haben. Aber ich glaube, diese Position müssen wir auch weiterführen.
TGP: Wir haben viel über die Rolle der Haifische gesprochen. Es gibt aber noch eine andere wichtige Figur, die des unbekannten Whistleblowers, des „Nobody“. In Eurem Buch nennt sich die unbekannte Quelle „John Doe“.
Was würdet Ihr einem „Niemand“ raten, wenn er oder sie zweifelt, ob eine Geschichte an die Öffentlichkeit kommen soll oder nicht. Was wäre Dein Tipp?
Obermaier: Mein Tip an potentielle Informanten und Whistleblower ist, sich erst einmal zu informieren, welcher Journalist sich mit der Thematik befasst – um zu vermeiden, wahllos Dutzende kontaktieren zu müssen. Vor der ersten Kommunikation sollte man sich überlegen, ob man anonym bleiben will oder nicht. Im Zweifel würde ich den ersten Kontakt erstmal anonym gestalten, ohne den Namen zu nennen, von einer E-Mail-Adresse, die extra dafür eingerichtet wurde.
TGP: Anonymität ist einfach die oberste Priorität?
Obermaier: Zumindest ist Anonymität der beste Schutz.
TGP: Letzte Frage: Mein Laptop hat zur Zeit 16 Gigabyte Arbeitspeicher und 1 Terabyte SSD Festplatte. Wie schaut Deiner aus?
Obermaier: Meiner hat zur Zeit 16 Gigabyte und 2 Terabyte. Viel wichtiger ist aber der geschützte Server unseres Ressorts. Der hat 128 Gigabyte Arbeitsspeicher und 22 Terabyte Speicherplatz, genug also für noch so einige Leaks. Wer also Daten von öffentlichem Interesse hat – immer nur her damit!
Mein Tip an potentielle Informanten und Whistleblower ist, sich erst einmal zu informieren, welcher Journalist sich mit der Thematik befasst – um zu vermeiden, wahllos Dutzende kontaktieren zu müssen. Vor der ersten Kommunikation sollte man sich überlegen, ob man anonym bleiben will oder nicht.
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